Galizien und Schlesien

Zwangsumsiedlung und Vertreibung in den vierziger Jahren

 

Galizien

Nach der Polonisierung ehemals weißrussischer und ukrainischer Gebiete infolge des Frieden von Riga 1921 lebten gemäß einer Volkszählung von 1931 im neu entstandenen Ostpolen 12-13 Millionen Menschen: 5 Millionen mit polnischer Muttersprache, circa 4,5 Millionen Ukrainer, circa 1 Million Weißrussen und 1 Million Juden.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 und dem darauffolgenden sowjetischen Einmarsch am 17. September 1939 wurde der Ostteil der polnischen Provinz Galizien, der heute wieder zur Ukraine gehört, gemäß dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt (auch Hitler-Stalin-Pakt oder Ribbentrop-Molotow-Pakt) Teil der Sowjetunion, während der Westteil Galiziens, heute wieder Polen zugehörig, von den Deutschen besetzt wurde.

Die Sowjetisierung in Ostpolen und so auch Ostgalizien wurde rasch vorangetrieben. Die sowjetische Regierung unter Stalin entrechtete umgehend die Teile der Bevölkerung, denen sie unterstellte, der Übernahme des sozialistischen Systems im Wege zu stehen – Industrielle, Großgrundbesitzer, Wohlhabende, Soldaten etc. – und veranlasste die Deportation dieser sogenannten Klassenfeinde. Zwischen 240.000 und 300.000 polnische Soldaten gerieten in sowjetische Gefangenschaft und wurden nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Keinem wurde der Status von Kriegsgefangenen zuerkannt. Tausende wurden liquidiert. Nach einem Scheinplebiszit wurde das ostgalizische Gebiet vollständig in die Sowjetunion eingegliedert.

Infolge des Angriffs auf die Sowjetunion durch das Deutsche Reich am 22. Juni 1941 (Unternehmen Barbarossa) wurde auch der sowjetisch eingegliederte Teil Galiziens vom deutschen Militär besetzt und somit zum Distrikt Galizien des deutschen Generalgouvernements. Im Zuge dessen kollaborierten Ukrainer und Polen zum einen mit der Besatzungsmacht bei der Vernichtung der Juden – es folgten erste Massenerschießungen und die Deportation in Ghettos. Zum anderen führten Privilegierung der ukrainischstämmigen und Diskriminierung der polnischstämmigen Bevölkerung zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen zwischen den beiden Volksgruppen, da die Ukrainischen Nationalisten (ONU) einen gegen Polen gerichteten Nationalstaat anstrebten. Nach dem Prinzip »Teile und Herrsche« versuchten die Deutschen diesen Konflikt zwischen den Ukrainern und Polen im neu errungenen galizischen Gebiet also anzuheizen und somit die eigene Herrschaft zu sichern. Zahlreiche Übergriffe ukrainischer Banden (Bandera-Banden) auf Polen, insbesondere auf polnische Bauernhöfe, sollten die Polen aus Galizien vertreiben. Bereits zu diesem Zeitpunkt flohen viele von ihnen nach Westen. Andere wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt oder in Konzentrationslager deportiert.

Anfang Januar 1944 begann die Rote Armee, ihre verlorenen Gebiete in Ostpolen zurückzuerobern. In diesem Zusammenhang kam es zu erbarmungslosen Kämpfen zwischen Roter Armee, ukrainischer Aufstandsarmee und polnischer Heimatarmee denen vor allem die jeweilige Zivilbevölkerung zum Opfer fiel. Nach dem Scheitern polnischer Selbstbefreiungsaktionen (Aktion »Burza«) wurde Galizien 1944 erneut von der Sowjetunion besetzt. In etwa das gleiche Terrain, das schon 1939 von der UdSSR annektiert wurde, wurde nun wieder in die Sowjetunion eingegliedert.

Im September 1944 schloss das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung (auch Lubliner Komitee) mit der weißrussischen, der ukrainischen und der litauischen Sowjetrepublik »Evakuierungsverträge«, in denen es die Abtrennung der polnischen Ostgebiete offiziell »freiwillig« anerkannte. Der polnischstämmigen Bevölkerung wurde nahegelegt nach Polen auszureisen, vorwiegend in die ehemals deutschen, nunmehr polnischen Westgebiete, was der Großteil schließlich tat. Die weiterhin Verbliebenen mussten ihre polnische Identität aufgeben und die sowjetische Staatsbürgerschaft annehmen.

Im Rahmen der »Evakuierungen« (nach 1945 auch »Repatriierung») sorgten Zwangs- und Terrormaßnahmen für eine Beschleunigung der Abläufe. Sie wurden mitten im Winter 1945 begonnen, obgleich die vorgesehenen deutschen Ostgebiete zum Teil noch gar nicht erobert waren. Hinzu kam, dass die Transporte schlecht organisiert waren und unter widrigsten Bedingungen durchgeführt wurden. Aufgrund des vielen Haushalts und des Viehs, das die polnischen Vertriebenen mit sich führten, kam es beispielsweise zu langen Wartezeiten an den Verladestationen, fernab jedweder Versorgung.

Schlesien

Nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Mitteleuropa zu grundlegenden geopolitischen Veränderungen. Das kaiserliche Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, die Verlierer des Krieges, die sich bis dahin das Gebiet Schlesien teilten, mussten infolge des Vertrags von Versailles 1919 Teile der Provinz zu Gunsten der neu entstandenen Staaten Polen und Tschechoslowakei abgeben.

Dabei blieb der Grenzverlauf Streitpunkt. Nach der Teilung im Juli 1921 gehörte der größere, wirtschaftlich unattraktivere Teil der Provinz weiterhin dem Deutschen Reich an und wurde in die Provinzen Niederschlesien mit der Hauptstadt Breslau und Oberschlesien mit der Hauptstadt Oppeln untergliedert. Der kleinere, mit seinen Bergwerken und Stahlhütten wirtschaftlich aber potentiell produktivere Ostteil, zählte zu Polen – es entstand die Autonome Woiwodschaft Schlesien mit der Hauptstadt Kattowitz. Dem vorausgegangen waren eine Volksabstimmung im März 1921, dessen Abstimmungsergebnisse bei der letztlich vollzogenen Grenzziehung nur bedingt berücksichtigt wurden,  sowie drei bürgerkriegsartige propolnische Aufstände.

1938 wurden die beiden getrennten Provinzen Ober- und Niederschlesien wiedervereinigt, Hauptstadt der Provinz wurde Breslau. Infolge des deutschen Angriffs auf Polen am 1. September 1939 wurde schließlich das gesamte Schlesien ins Deutsche Reich integriert, zudem weitere polnische Gebiete. Viele dort ansässige Polen wurden in Konzentrationslager deportiert, vorrangig Gebildete und Intellektuelle oder jene, in denen die Nationalsozialisten Beförderer und Träger widerständischer Bewegungen vermuteten. Zum  Zwecke der »Beseitigung der lebendigen Kraft« Polens wurden das KZ Ausschwitz und später das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau errichtet. Jüdische und nichtjüdische Polen wurden unmittelbar vor Ort ghettoisiert und dann in größere Ghettos des Generalgouvernements deportiert, vor allem nach Łódź. 1941 wurden Ober- und Niederschlesien erneut geteilt, dabei wurde Breslau Hauptstadt Niederschlesiens und Kattowitz, die bis 1939 als Katowice Hauptstadt der Autonomen Woiwodschaft Schlesien war, Hauptstadt Oberschlesiens.

Als Anfang 1945, am Ende des Krieges, die Rote Armee Schlesien erreichte, war es für die dort einmarschierende sowjetische Heeresgruppe das erste deutsche Terrain, das sie eroberte. Im Zuge dessen wurden Tausende deutsche Zivilisten erschossen, Frauen massenhaft vergewaltigt und Städte systematisch niedergebrannt. Außerdem wurden viele Deutsche zur Zwangsarbeit rekrutiert und in die Sowjetunion deportiert. Obgleich die deutsche Regierung gegenüber der Zivilbevölkerung die tatsächliche Kriegslage und den Fortschritt der Roten Armee geheimgehalten und ihr die Flucht untersagt hatte, waren einige wenige der insgesamt circa 4,5 Millionen deutschen Schlesier bereits vor dem sowjetischen Einmarsch geflüchtet.

Schlesien wurde schließlich unter polnische Verwaltung gestellt. Die endgültige Festlegung der Grenze zwischen Deutschland und Polen sollte einer abschließenden Friedenskonferenz vorbehalten bleiben.

Ab dem Frühsommer 1945 ermöglichten die sogenannten Bierut-Dekrete die Einziehung des gesamten beweglichen und unbeweglichen Eigentums von Personen deutscher Nationalität zugunsten des polnischen Staates. Deutsche Ortsnamen wurden polonisiert und die deutsche Bevölkerung zu großen Teilen vertrieben. Aufgrund mangelnder Stabilität der neuen polnischen Verwaltung, der diese Aufgabe oblag, kehrten viele Schlesier aber vorläufig in ihre Heimat zurück. Eine Minderheit der deutschen Bevölkerung, vor allem in Oberschlesien, entging teils wegen ihrer nicht eindeutigen Nationalität oder auch ihrer katholischen Glaubensausrichtung der Vertreibung.  Die Vertreibung aus Nieder- und Mittelschlesien war dagegen nahezu total.

Aus Ost- und Zentralpolen, unter anderem auch aus Galizien, kamen schließlich polnische Umsiedler und Vertriebene in das nunmehr »herrenlose«, vor allem niederschlesische Gebiet.